Um die Energiewende zu meistern, brauchen wir Fach- und Arbeitskräfte. Doch die sind knapp. Neue Erwerbspotenziale zu entdecken und zu erschließen, könnte hierfür eine Lösung sein. Dafür müssen Unternehmen aber manchmal innovative Wege wagen. Das hat die Westenergie AG getan und im Sommer 2023 ein neues Programm aufgesetzt: °we start.
Dieser Beitrag ist Teil der Dossier-Reihe aus der Arbeitsgemeinschaft zur Fachkräftesicherung und -entwicklung von Betriebspersonal.
Mithilfe der Initiative °we start sollen geflüchtete Menschen schnell und möglichst unkompliziert in den Arbeitsmarkt integriert werden. Denn obwohl viele dieser Menschen fachlich geeignet und motiviert sind, können sie beruflich oft nicht richtig Fuß fassen.
Grund dafür sind häufig Sprachbarrieren, nicht anerkannte Qualifikationen – oder aber die fehlende Chance, sich in der Arbeitswelt beweisen zu können. Diese bietet ihnen nun Westenergie und nutzt damit nicht nur wertvolle, ungenutzte Potenziale, sondern deckt so auch eigene Recruiting-Bedarfe ab.
Das Programm ist insgesamt auf zwei Jahre ausgelegt. Für °we start wurden eigens 20 neue Stellen geschaffen, die keinem Fachbereich konkret zugeordnet sind. Dennoch hat Westenergie natürlich Menschen mit speziellen Qualifikationen besonders im Visier: Dazu gehören Monteurinnen und Monteure, Meisterinnen und Meister oder Technikerinnen und Techniker aus den Bereichen Energie-, Elektro- oder Informationstechnik oder aber auch Studienabsolventinnen und -absolventen mit der Fachrichtung Maschinenbau oder Wirtschaftsingenieurwesen.
Ziel von °we start ist es, geflüchteten Menschen beruflich eine neue Perspektive zu bieten und sie nachhaltig ins Unternehmen zu integrieren und zu entwickeln. Eine Win-win-Situation: Westenergie erweitert nicht nur seinen Bewerber*innenkreis und sorgt für mehr Vielfalt im Unternehmen, sondern übernimmt als Arbeitgeber in aktuell herausfordernden Zeiten auch gesellschaftspolitisch Verantwortung.
Damit die Energiewende gelingt, bedarf es zahlreicher gut ausgebildeter Fachkräfte in der Branche. Die Herausforderung in der Nachwuchssicherung und kontinuierlichen Weiterbildung von Fachkräften hat die Energiewirtschaft erkannt – die Verbände AGFW, BDEW, DVGW, rbv und VDE haben eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen, um Initiativen zur Fachkräftesicherung zu erarbeiten. In Dossiers werden nun Unternehmen und deren Maßnahmen vorgestellt: als Orientierung und Impuls für andere Energieversorgungsunternehmen.
Wichtig für eine Teilnahme sind ausreichende Deutsch-Kenntnisse (B2-Level), Kompetenzen in einem der oben genannten Bereiche und vor allem Motivation.
„Jede Person wird von uns immer ganz individuell betrachtet. Wir schauen auf vorhandene Skills und welche Voraussetzungen mitgebracht werden. Sind zum Beispiel notwendige Sicherheitszertifikate vorhanden, um etwa an Stromleitungen zu arbeiten? Wie flexibel sind die Personen bezüglich ihres Wohnortes? Wo und in welchen Teams können wir sie am besten einsetzen?“, erklärt Jasmin Rembs aus dem Personalmarketing bei Westenergie.
Von den neu geschaffenen 20 Stellen sind zwölf bereits besetzt. Werden die zwei Jahre erfolgreich absolviert, können die °we starter mit einer Weiterbeschäftigung bei Westenergie rechnen – und zwar in unbefristeter Festanstellung.
„Mit dem °we start-Ansatz heben wir perspektivisch ein riesiges Potenzial an qualifizierten Kandidatinnen und Kandidaten. Dabei arbeitet Westenergie eng mit staatlichen und kommunalen Akteuren und anderen Institutionen zusammen – wie etwa kommunalen Integrationsmanagerinnen und -managern sowie Jobcentern“, verdeutlicht Anna Fliegel, Leitung Personalentwicklung und Personalmarketing bei Westenergie.
Die Vorauswahl passender Kandidatinnen und Kandidaten erfolgt über externe Partner wie etwa Sprachschulen oder die Agentur für Arbeit. Deren speziell organisierte Speeddatings sind ein gutes Format, um potenzielle Arbeitskräfte gezielt anzusprechen.
Die Agentur für Arbeit schaut zunächst, wer sich fachlich eignet und lädt zehn bis 15 Personen zu einem Termin ein. Vor Ort finden dann zwischen diesen und Mitarbeitenden der Personalabteilung von Westenergie klassische Kurzgespräche statt.
Wo wollen diejenigen beruflich hin? Was bringen sie mit? Alle Interessierten können sich im Anschluss via Laptop direkt im Karrierenetzwerk von Westenergie anmelden und ihre Kontaktdaten hinterlassen. „Wir schauen uns die Profile dann im Nachgang nochmal genauer an, überlegen, wo diejenigen am besten reinpassen und kontaktieren die entsprechenden Teams bzw. Abteilungen“, sagt Stephanie Bolsinger aus der Personal- und Führungskräfteentwicklung bei Westnetz.
Mittlerweile gab es bereits zahlreiche Speeddatings an verschiedenen Standorten, beispielsweise in Essen, Dortmund, Düren und im Rhein-Erft-Kreis.
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Sind sich alle einig, wird ein Vertrag über die zwei Jahre des Programms abgeschlossen und es kann losgehen – meist in dem Fachbereich, in dem Teilnehmende bereits Berufserfahrung im Heimatland gesammelt haben. Bei Westenergie werden diejenigen nun so eingearbeitet wie andere neue Mitarbeitende auch: direkt im Job, vom ersten Tag an.
Eigens für °we start wurde aber zudem ein Buddy-Programm ins Leben gerufen. Eine Person aus dem Team fungiert als Mentorin oder Mentor, nimmt neue Mitarbeitende unter ihre oder seine Fittiche und steht für sämtliche Fragen zur Verfügung. Das erleichtert den geflüchteten Menschen nicht nur den Einstieg in den Arbeitsalltag, sondern hilft mitunter auch bei der kulturellen Verständigung. Hierfür gibt es aber noch weitere professionelle Unterstützung.
Die Thielkasse ist ein Joint Venture der Westenergie und kümmert sich um Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheit am Arbeitsplatz oder Benefits für Beschäftigte. „Gemeinsam mit der Thielkasse ist es für uns möglich, die Programmteilnehmenden über den Arbeitsalltag hinaus ganzheitlich zu unterstützen. Sie erhalten zum Beispiel Hilfe bei bürokratischen Angelegenheiten oder werden bei der Wohnungs- und Kinderbetreuungssuche unterstützt“, so Jasmin Rembs.
Die Mitarbeitenden der Thielkasse arbeiten stets ganz eng mit den Beschäftigten der jeweiligen Teams zusammen und fördern so auch den Aufbau von interkulturellen Kompetenzen im Unternehmen. Sie haben außerdem im Blick, ob die °we-start-Teilnehmenden die vorgeschriebenen Sprachkurse erfolgreich absolvieren oder ob es die Möglichkeit staatlicher Förderungen gibt.
Läuft alles nach Plan, sollen die Teilnehmenden des Programms nach zwei Jahren bei °we start voll in die Westenergie-Gruppe integriert sein. Wer aber richtig überzeugt, kann auch schon mal vorab aus dem Programm aussteigen und direkt in Festanstellung gehen.
Genau das ist Abd Alsalam Naddaf aus Syrien gerade gelungen. Er hat mit seinem Können und seinem Einsatz gezeigt, dass er schon jetzt eine vollwertige Arbeitskraft im Unternehmen sein kann. Eine echte Erfolgsstory für beide Seiten: Westenergie hat eine wertvolle neue Fachkraft und Abd Alsalam Naddaf ist der berufliche Einstieg in der neuen Heimat in kurzer Zeit geglückt.
Es lohnt sich, das Thema Recruiting offen und mutig anzugehen und sich Themen wie interkultureller Teamführung oder gezielter Sprachförderung zu widmen. Dass die Idee für das Programm innovativ und wegweisend ist, zeigt auch die Nominierung zum Fachkräftepreis 2024. Mit °we start gehörte Westenergie zu den Top 3 in der Kategorie Erwerbspotenziale. Das Unternehmen hat letztlich zwar nicht den Preis, dafür aber jede Menge Aufmerksamkeit für seine Initiative gewonnen.
Die Westenergie AG gehört zur E.ON SE und ist der größte regionale Energiedienstleister und Infrastrukturanbieter Deutschlands. Das Unternehmen beschäftigt ca. 10.000 Mitarbeitende und versorgt rund acht Millionen Menschen mit Strom, rund 4.8 Millionen mit Gas und knapp 1.4 Millionen mit Wasser.
Anna Fliegel, Westenergie (anna.fliegel@westenergie.de)
Stephanie Bolsinger, Westnetz (stephanie.bolsinger@westnetz.de)