Aus- und Weiterbildung in Corona-Zeiten
Seit Januar 2020 hat der „Gremienverbund Facharbeiter, Meister und Techniker“ von AGFW, DVGW, rbv und VDE einen neuen Obmann. Vor dem 39-jährigen Ausbildungsleiter Daniel Plötz (Avacon Netz GmbH), seinem künftigen Stellvertreter Klaus Fischer (Bayernwerk Netz GmbH) und den beteiligten Partnern liegt die verantwortungsvolle Aufgabe, die durch die Corona-Krise beschleunigte „neue Normalität“ der betrieblichen Aus- und Weiterbildung aufzugreifen und zukunftsorientierte Handlungsansätze für die Branche zu generieren.
Dieser Beitrag stammt ursprünglich aus der Fachzeitschrift DVGW energie | wasser-praxis.
In ihrer März-Ausgabe 2021 hat die Redaktion unseres Medienpartners „DVGW energie | wasser-praxis“ vor diesem Hintergrund mit beiden über die zukünftigen Herausforderungen sowie eine Umfrage unter den Auszubildenden der Avacon AG gesprochen.
Herr Plötz, Herr Fischer, welchen Beitrag leistet der „Gremienverbund Facharbeiter, Meister und Techniker“ für die Energie- und Wasserversorgung und was hat Sie motiviert, hier die Führung zu übernehmen?
Plötz: Der Gremienverbund ist ein starkes und zukunftsorientiertes Netzwerk, das sich als Vertretung unserer Branche über die Verbände AGFW, DVGW, rbv und VDE bewährt hat. Er ist jederzeit handlungsfähig und das einzige Gremium in der Energie- und Wasserbranche, das sich umfassend wichtigen Fragestellungen der beruflichen Bildung für die Zielgruppen Facharbeiter, Meister und Techniker widmet. Darunter fallen Themen der Nachwuchs- und Fachkräftesicherung, der Ausbildung sowie der Fort- und Weiterbildung.
In den letzten fünf Jahren war ich Stellvertreter von Hans Joachim Mayer (MVV Energie AG), der den Gremienverbund seit seiner Initiierung im Jahr 2014 als Obmann geführt hat. In dieser Zeit haben wir viel erreicht. Persönlich habe ich eine Menge von Hans Joachim Mayer gelernt und großen Respekt vor seiner Leistung. Ich freue mich nun darauf, an der bisherigen Arbeit anzuknüpfen, den Gremienverbund weiter auszubauen und sein Profil zu schärfen.
Fischer: Die Anpassung der Aus- und Weiterbildung im Hinblick auf eine veränderte Energieversorgung, die stark voranschreitende Digitalisierung und die Anpassung der Prüfungsregelungen im Hinblick auf das neue Berufsbildungsgesetz (BBiG) sind vorrangige Themen, denen sich der Gremienverbund stellt. Ich freue mich darauf, mich dieser Aufgaben in enger Zusammenarbeit mit Daniel Plötz anzunehmen.
Im Projektkreis Netzmeister (PK 2.4), dessen Leiter ich bin, gilt es derzeit, die bestehende Aufstiegsfortbildung zum geprüften Netzmeister anzupassen. Dabei können wir auf die Erfahrungen aus der Novellierung vom Netzmonteur zum Verteilnetztechniker zurückgreifen. Zudem muss die Vermittlung von neuen Entwicklungen aus der Energieversorgung und der Netztechnik dynamisch in die Fortbildung einfließen.
Die berufliche Aus-, Fort-, und Weiterbildung steht an einem Wendepunkt. Die Energiewende, die Digitalisierung und die Corona-Pandemie stellen das Betriebspersonal vor immer komplexere Herausforderungen.
Daniel Plötz
Leiter Ausbildung & Personalabteilung bei Avacon Netz GmbH
Welche weiteren Themen beschäftigen Sie aktuell im Gremienverbund bzw. welche Arbeitsschwerpunkte werden Sie dort in den nächsten Monaten setzen?
Plötz: Aktuell sehen wir die berufliche Aus-, Fort-, und Weiterbildung an einem Wendepunkt: Die Anforderungen an das Betriebspersonal werden durch die Energiewende, die Digitalisierung und nicht zuletzt auch durch die Einflüsse der COVID-19-Pandemie immer komplexer. Eine auf die Zukunft ausgerichtete Bildung erfordert heute einen systemischen Gesamtblick, der die fachlichen, überfachlichen, aber auch die entwicklungsorientierten Dimensionen miteinander verbindet.
Genau hier möchten wir, gemeinsam mit den Berufskolleginnen und -kollegen, den Fokus setzen. Durch eine zukunftsorientierte Profilschärfung und die erweiterte Einbindung fachlicher Expertise aus Unternehmen, Institutionen, Hochschulen und Verbänden werden wir die Handlungsfähigkeit des Gremienverbundes erhöhen und Synergien für die handelnden Partner schaffen.
Wir benötigen eine starke Gemeinschaft, die in Kooperationen denkt, in Netzwerken agiert und eine klare Ausrichtung an Chancen und Risiken mit einer ausgeprägten Umsetzungsorientierung gewährleistet.
Klaus Fischer
Bayernwerk Netz GmbH
Fischer: Wir benötigen eine starke Gemeinschaft, die in Kooperationen denkt, in Netzwerken agiert und eine klare Ausrichtung an Chancen und Risiken mit einer ausgeprägten Umsetzungsorientierung gewährleistet. Wir werden die Aufgaben an den erforderlichen Zukunftskompetenzen ausrichten, aber auch die Vernetzung und den Transfer innerhalb der Branche sicherstellen.
Plötz: Insbesondere drei Fragestellungen stehen aktuell für den Gremienverbund im Blickfeld. Erstens: Wie werden die Bildungsprofile für die zukünftigen Facharbeiter, Meister und Techniker aussehen und welche Notwendigkeiten ergeben sich aufgrund der Transformation unserer Energiesysteme sowie der damit einhergehenden Digitalisierung? Zweitens: Wie gestalten wir in der neuen Arbeitswelt und in der angespannten demografischen Situation unserer Branche den Schulterschluss mit der Personalentwicklung mit dem Ziel, eine Systematik für neue berufliche Kompetenzanforderungen zu entwickeln, die den gesamten beruflichen Lebenszyklus vom Recruiting bis zur Nachfolgeplanung berücksichtigt? Und drittens: Wie gelingt es uns, Bildungsübergänge von der dualen Ausbildung zur hochschulischen Bildung zu gewährleisten?
Wie werden Sie vorgehen, um diese sehr komplexen und zukunftsorientierten Aufgabenstellungen zu bewältigen?
Plötz: Zunächst einmal sehe ich die Einbindung aller betrieblichen Ebenen als Erfolgsrezept an. Mir ist wichtig, möglichst viele Perspektiven für den systemischen Gesamtblick einzubinden. In meiner Rolle als Leiter der Ausbildung bei der Avacon AG ist uns die Stimme der Auszubildenden sehr wichtig. Oftmals agieren Verantwortliche im Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Nachhaltigen Erfolg bringt allerdings nur der Blick in die reale Erlebniswelt unserer Zielgruppen.
Fischer: Die Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie wirken aktuell sehr auf die berufliche Bildung ein. Dadurch, dass Betriebe teilweise geschlossen werden, leidet auch die bundesweite Bildungssituation. Viele Unternehmen beschreiben, dass durch den Wegfall des betrieblichen Alltages nicht nur der Wissensaufbau, sondern auch der notwendige Kompetenzerhalt des Betriebspersonals durch fehlende Fortbildungsmaßnahmen gefährdet ist. Die Pandemie wirkt sich somit stark auf die beruflichen wie auch auf die persönlichen Anforderungen aus.
Wir sehen auch negative Effekte auf das soziale Miteinander und auf die Unternehmensbindung. Lernen auf Distanz und virtuelle Lernangebote sind Schlüsselelemente im aktuellen Ausbildungsablauf. Doch wie soll eine praxisorientierte und an den Geschäftsprozess eines Netzbetreibers ausgerichtete Aus- und Weiterbildung funktionieren, wenn das Erlernen praktischer Handlungsfähigkeiten überwiegend ausbleiben muss? Wie muss das neue Lernumfeld aussehen und welche kreativen Lösungen müssen Unternehmen finden, um die Risiken des betriebsrelevanten Kompetenzverlustes abzufangen? Was macht die Situation mit den Lernenden? Wie gehen junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren mit dieser akuten Veränderung im Ausbildungsablauf um? Wie sollten sich Betriebe aufstellen und welche Vorgehensweisen sind nötig, um den Aus- und Weiterbildungsbetrieb künftig aufrechtzuerhalten?
Plötz: Bei all diesen Entwicklungen, neuen Fragestellungen und Risiken, die aus dem Pandemiejahr 2020 hervorgehen, komme ich natürlich nicht an meiner Rolle des Ausbildungsleiters der Avacon AG vorbei. In dieser Funktion will ich genau wissen, was die Auszubildenden bewegt, wie sie mit der Veränderung umgegangen sind und vor allem, was sie aus heutiger Sicht und mit der bisherigen Erfahrung im Jetzt benötigen, um im Morgen die Ausbildung erfolgreich absolvieren zu können. Denn eines steht fest: Es wird ein „neues Normal“ geben und das gilt es nun mit all den Risiken, aber auch Chancen zu gestalten.
Im Gespräch mit Daniel Plötz, Leiter Ausbildung und Personal bei der Avacnon Netz GmbH
Zu diesem Zweck haben Sie bei der Avacon AG gerade erst eine Umfrage unter Ihren Auszubildenden durchgeführt. Was war das Ziel dieser Umfrage und wie sind Sie vorgegangen?
Plötz: Ziel der Umfrage war es, unsere Auszubildenden aktiv in der aktuellen Situation zu unterstützen. Dazu wollten wir einen Überblick über die Ausbildungssituation im Unternehmen während der Corona-Maßnahmen aus Sicht der Auszubildenden gewinnen, um dann im nächsten Schritt einen realistischen Blick auf die durch die Pandemie veränderten Ausbildungsprozesse abzuleiten. Die Umfrage umfasste insgesamt 27 Fragen bezüglich der Auswirkungen der Pandemiesituation unter verschiedenen Aspekten (Kompetenzen, Lernen und Lerntransfer, virtuelle Welt/ IT-Ausstattung, soziales Gefüge, emotionale Stabilität, Veränderungen).
Wir haben alle (aktuell 180) Azubis gebeten, sich an der Umfrage zu beteiligen. Die Teilnahmequote war mit 85 Prozent sehr zufriedenstellend. Alle Berufsgruppen haben teilgenommen (darunter 112 Elektroniker, neun Industriekaufleute, 16 B. Eng. Elektrotechnik, fünf B. Eng. Versorgungstechnik und elf B. A. Betriebswirtschaft).
Wie gehen Sie mit den Umfrageergebnissen in Ihrem Unternehmen um?
Plötz: Zunächst einmal haben wir uns gefreut, dass die Umfrage und das
„Hinhören“ positiv von unseren Auszubildenden aufgenommen wurde. Die Ergebnisse nehmen wir sehr ernst und richten uns konsequent daran aus, mit dem Ziel, den bestmöglichen Methoden-Mix für den „Regelbetrieb Pandemieausbildung“ zu gewährleisten. Dazu haben wir in einem Workshop auch bereits erste Maßnahmen unter folgenden Stichpunkten festgehalten:
Und welche Konsequenzen und Schlüsse ziehen Sie aus der Umfrage für die künftigen Aufgabenstellungen des „Gremienverbundes Facharbeiter, Meister und Techniker“?
Plötz: Wir sehen, welche Relevanz die überfachlichen Dimensionen im Aus- und Weiterbildungsbetrieb haben. Der notwendige systemische Blick auf die berufliche Bildung zeigt sich anhand der internen Avacon-Umfrage ja sehr deutlich.
Auch im Gremienverbund haben wir nun die Aufgabe, Handlungsempfehlungen sowie Lösungen abzuleiten, die unseren Mitgliedsunternehmen in der gegenwärtigen Situation eine Unterstützung sind. Es gilt, das Bewusstsein für den Blick in die Zukunft der beruflichen Bildung zu schärfen: Darunter fällt eine Stärkung der dualen Ausbildung (Nachwuchs- und Fachkräftesicherung) und die Förderung und Vernetzung der beruflichen Bildung, Fortbildung und Entwicklung (Institutionen, Hochschulen, Partnerverbände und Unternehmen).
Berufsbildende Prozesse sind mit Partnern in Projektkreisen zu begleiten und zu entwickeln (Zertifizierung, akademische Fortbildung und Modularisierung). Letztlich geht es darum, die Chancen und Risiken der Pandemiesituation aufzugreifen. Dafür benötigen wir einen erweiterten Blickwinkel, der die Personalentwicklungsperspektive, fachliche wie überfachliche Zukunftskompetenzen, aber auch die Vernetzung und den Transfer im Profil abbildet.